Die Gefahr der Parentifizierung

29. Juni 2020

von Marco Breitenstein

Lesezeit: 3,9 Minuten

Parentifizierung

Auf ein Kind kann dieser Zustand ungeahnte negative Folgen haben, denn nicht selten kommt es zu Essstörungen, Depressionen oder  somatischen Beschwerden. Eine Parentifizierung wird daher als ein Risikofaktor für psychische Erkrankungen angesehen, die sich, unter Umständen, bis in das Erwachsenenalter hinziehen kann.

Wenn Kinder zu Eltern werden

Bei der Parentifizierung, auch Parentifikation genannt, muss in zwei Kategorien unterschieden werden. Die natürliche Parentifizierung findet statt, wenn Eltern alt werden und ihre Kinder Pflege und Fürsorge übernehmen. Werden allerdings Kinder in die Erwachsenenrollen gezwungen, weil Eltern zum Beispiel nicht in der Lage sind ihr eigenes Leben verantwortlich zu führen – sei es durch Depressionen, Drogenkonsum, Alkohol oder anderes – ist dies eine, im schlimmsten Fall, kindeswohlgefährdende Parentifizierung.

In der Konsequenz  ist eine kindgerechte Lebensführung nicht mehr möglich: Hobbies, Freunde und unbeschwertes Spielen bleiben zwangsläufig auf der Strecke, für emotionale Momente hat ein Kind dann kaum mehr einen Raum.

Hilfreich ist es, wenn Eltern ihren Kindern Streßsituationen ersparen, denn rund 82 % der Kinder fühlen sich mit ihren täglichen Aufgaben stark überlastet. Von der Parentifizierung, in der Kinder die Rolle der Eltern übernehmen, sind größtenteils Kinder mit einem depriviertem Hintergrund betroffen. Es gibt durchaus Kinder, die nicht nur Behördengänge erledigen müssen, sondern sich auch um Geschwister kümmern und dazu noch den Haushalt managen.

Studien zufolge, glauben rund 87 % der Eltern nicht, ihre Kinder dabei zu überfordern. Wichtig ist, dass diese Eltern ein gewisses Feingefühl entwickeln müssen für das, was ihre Kinder speziell benötigen um nicht überfordert zu werden.

Die Wege aus dieser Krise sind nicht einfach, denn nicht immer ist dieses Verhalten für Aussenstehende leicht zu erkennen. Es bedarf einer familiären Aussprache, in der offen über bestehende Probleme gesprochen wird. Hier kann ein Mediator oder ein Sozialarbeiter weiterhelfen, der diese Gespräche leitet und unterstützt.

Instrumentelle und emotionale Parentifizierung

Experten unterscheiden zwischen zwei unterschiedlichen Arten einer Parentifizierung. Die instrumentelle Parentifizierung beispielsweise lässt ein Kind Aufgaben, welche eigentlich Angelegenheiten der Eltern sind, übernehmen. Hierzu gehören unter anderem:

Kinder können relativ schnell in die Rolle eines Vertrauten rutschen. Einige werden für den Fortbestand einer Beziehung eingespannt, andere wiederum sollen für einen Partner Partei ergreifen. Es existieren auch Fälle, in denen Kinder das erreichen sollen, was die Eltern wollten, es jedoch nicht umsetzen konnten. Hierzu gehören vielleicht eine steile Karriere oder ein anderer Lebenstraum, der nicht in Erfüllung ging.

Eine Parentifizierung ist auf jeden Fall eine Gefahr für Kinder, da sie damit vollkommen überfordert sind, gleiches gilt im übrigen auch für Jugendliche. Kinder sind weder Berater noch Partner und doch kommt es häufig zu dieser Rollenumkehr, so wird zum Beispiel eine Tochter zur Partnerin oder im schlimmsten Fall sogar zur (Ersatz)Mutter. Diese Rollenzuschreibungen werden in sehr seltenen Fällen explizit erteilt, sondern schleichen sich mit der Zeit langsam ein.

Der Begriff der Parentifizierung (lateinisch für parentes: Eltern, und facere:  machen) existiert seit rund 40 Jahren. Während diese in früheren Zeiten vor allen Dingen nur wahrgenommen wurde, wird heute versucht, familientherapeutisch dagegen vorzugehen.

Darum kann es für Kinder problematisch werden

Als selbstverständlich gilt es, dass Kinder, je älter sie werden, leichte Tätigkeiten im Haushalt ausführen, diese Methodik dient nicht nur den Eltern, sondern sind positiv für die eigene Selbstständigkeitsentwicklung des Betreffenden. Entscheidend bei diesem Faktor ist jedoch, dass Freiheiten und Entwicklungsmöglichkeiten nicht eingeschränkt werden und das Kind dafür auch entsprechende Anerkennung erhält.

Anders verhält es sich bei Kindern, die zu viele elterliche Aufgaben, oder sogar eine Elternrolle ganz, übernehmen müssen.Sollten Kinder selbständig eine Erwachsenenrolle übernehmen wollen, ist dieses nicht abwertend zu betrachten, für jedes Kind ist jedoch wichtig, einfach nur Kind sein zu dürfen und ein gesundes Selbstwertgefühl aufbauen zu können.

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Marco Breitenstein

Marco Breitenstein ist Mediator, Dozent, Verfahrensbeistand und insoweit erfahrene Fachkraft (iseF). Die Beratung und Betreuung von Familien – und insbesondere Kindern – macht einen Großteil seiner Arbeit aus. Sein Vorgehen ist systemisch-lösungsorientiert, ein Schwerpunkt ist die Arbeit mit Familien, in denen psychische Störungsbilder vermutet oder vorhanden sind. Er ist Vater von 3 Kindern und spielt in seiner Freizeit Klavier.

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