Familie auf Zeit – Inobhutnahme und Bereitschaftspflege
Pflegefamilien sind „Familien auf Zeit“
Kinder, die in Obhut genommen werden, benötigen schnellstmöglich einen Platz, der Geborgenheit, Sicherheit, Geduld und viel Verständnis mitbringt. Dies ist nicht nur für die Pflegeeltern eine große Herausforderung. Wer alle Hürden genommen hat und Bereitschaftspflege anbieten darf, wird zwar finanziell vergütet, aber dennoch ist es mehr Berufung als Beruf.
49.500 Inobhutnahmen im Jahr 2019
Physische und psychische Gewalt, sexueller Missbrauch, Alkoholmissbrauch, Drogenproblematiken oder unbegleitete Einreisen von Flüchtlingskindern sind die häufigsten Gründe für das Jugendamt, ein Kind in Obhut zu nehmen. Inobhutnahme bedeutet, dass das Kind bzw. die Kinder aus der Familie genommen und fremd untergebracht werden. Dies ist ein massiver Eingriff in die elterlichen Rechte und geschieht nur dann, wenn die Personensorgeberechtigten (also die Eltern bzw. der alleinerziehungsberechtigte Elternteil) in der akuten, aktuellen Situation das Kind nicht versorgen können oder wollen bzw. das Kindeswohl gefährdet ist.
Wenn dies geschieht, wird schnellstmöglich (also sofort!) ein Platz benötigt, um diese Kinder sicher unterzubringen. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Hierfür gibt es speziell geprüfte und geschulte Bereitschaftspflegestellen, also Pflegeeltern bzw. Pflegefamilien .
Die Kinder lernen hier oft das erste Mal feste Familienstrukturen kennen und werden – mitsamt ihren eigenen Problemen und oft auch Traumata – einfach so angenommen, wie sie sind. In Kinderheimen kann diese individuelle Aufnahme oft nicht umgesetzt werden und auch Dauerpflegefamilien benötigen deutlich mehr Vorlauf und emotionale Vorbereitungszeit.
Warum das Jugendamt eingreift
Das statistische Bundesamt hat im Jahr 2019 insgesamt 49.500 Inobhutnahmen erfasst. Die häufigsten Gründe für eine Inobhutnahme sind hier aufgezeigt, Mehrfachnennungen möglich:
Bereitschaftspflege heisst „belastbar sein“
Ein jederzeit freies Kinderzimmer ist Voraussetzung, selbstverständlich auch Kleidung, Windeln, Spielzeug und eine Grundausstattung für jedes Alter. Die Räume dürfen nicht zu klein sein, Sicherheit wird ebenfalls gross geschrieben. Wer eh schon beengt lebt, wird keine Zulassung als Pflegefamilie bekommen.
Ein gesichertes Einkommen muss vorhanden sein, das Pflegegeld darf nicht der ausschlaggebende Grund sein – allerdings muss das Einkommen von einem Elternteil allein erwirtschaftet werden, denn eine weitere Voraussetzung ist, dass der andere Elternteil nicht arbeiten geht und den Haushalt führt; Alleinerziehende können keine Bereitschaftspflege anbieten. Psychische und physische Belastbarkeit wird von allen Familienmitgliedern erwartet, auch von den eigenen Kindern. Ach ja: eigene Kinder sind ebenfalls eine Voraussetzung, um als Pflegefamilie tätig werden zu dürfen. Das erweiterte polizeiliche Führungszeugnis, ein befundfreies Gesundheitszeugnis und regelmäßige mehrwöchige Aus- und Fortbildungen sind obligatorisch.
Pflegefamilien müssen zudem mit regelmäßigen Besuchen des Jugendamtes und der leiblichen Eltern planen. Unplanbar hingegen sind der zeitliche Aufwand und die extreme psychische Belastung: schlussendlich müssen alle Familienmitglieder das aufgenommene Pflegekind, das auch Teil der eigenen Familie geworden ist, wieder gehen lassen. Dies ist für Pflegeeltern genauso wie für die „Geschwister auf Zeit“ ein bewusst in Kauf genommener Trennungsschmerz der selbst bei psychischer Stabilität mehr als herausfordernd ist. Wer all diese Hürden genommen hat wird mit der Erfahrung belohnt, in und mit seinem Familiensystem anderen Kindern helfen zu dürfen und zu können.
Pflegegeld ist kein Einkommen
Für ein Pflegekind erhält man, je nach Jugendamt, ein Pflegegeld von ca. 1200 – 1500 Euro / Monat nach §33 SGB VIII. Wird eine Erstausstattung benötigt, kann man hierfür Einmalleistungen beantragen. Dieser Betrag deckt alle Kosten für das Pflegekind ab, von Lebensmitteln und Kleidung über Schulmaterial, Busfahrkarte und Ausflüge bis hin zum Taschengeld.
Das Einkommen ist kompliziert zu versteuern, es werden keine Rentenpunkte erwirtschaftet und auch Elterngeld kann nicht beantragt werden. Da es kein Job im Angestelltenverhältnis ist, werden auch keine Kosten für Krankenkasse oder Sozialversicherung übernommen.
Finanzielle Aspekte spielen bei Pflegeeltern meistens keine Rolle, dies macht man aus Überzeugung und Berufung.
Sie sind Pflegeeltern oder möchten es werden? Sie haben Fragen zu Vorraussetzungen? Kontaktieren Sie mich gerne!
Marco Breitenstein
Marco Breitenstein ist Vormund und Verfahrensbeistand an vielen Amtsgerichten in Hessen und Rheinland-Pfalz. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind die systemisch-lösungsorientierte Arbeit in hochkonflikthaften Familiensystemen und im Umfeld psychischer Erkrankungen oder Beeinträchtigungen.
Als Dozent und Speaker ist Marco Breitenstein vermittelt er bundesweit sein Wissen in den Bereichen Kinderschutz, Prävention und insbesondere seine Expertise in Umgangsangelegenheiten sowie Trennungsbegleitung.