Heute morgen habe ich, bei einer Tasse Kaffee, einen eigentlich sehr schönen Beitrag über Mütter gelesen, die einen Jungen als Kind haben: die Ängste vor dem „fremden Geschlecht“ und die damit verbundenen Unsicherheiten. Inhaltlich ein toller Artikel, aber fiel auf, dass durchweg von „Schniepi“, „Lullumann“ und „Pullermann“ statt vom Penis die Rede war. Bei einer kurzen Recherche fand ich dann auch die Bezeichnungen für die weibliche Vulva: „Mumu“, „Muschi“ oder „Schnecke“. Diese Begrifflichkeiten nutzen auch Täter, die sich sexuell an Kindern vergehen.
Warum es so schwer ist „Penis“ und „Vagina“ zu sagen
Niemand sagt „Hörlöchlein“ für Ohren, warum fällt es vielen Eltern dann so schwer, die Geschlechtsteile beim Namen zu nennen? Viele Menschen verbinden Begriffe wie Penis, Scheide, Vulva oder After mit Sexualität und Aufklärung. Um die Kinder davon (noch) fern zu halten werden Ersatzbegriffe genutzt, die erst einmal leichter über die Lippen gehen und weniger „sexuell“ klingen. Diese Verniedlichung kann allerdings dazu führen, dass das Kind seine Intimzone als „Tabuzone“ sieht. Schlussendlich wird eh irgendwann der Moment kommen, in dem Eltern aus einem „Piephahn“ einen Penis und aus einer „Strullerliesl“ eine Vulva (oder zumindest eine Scheide) machen müssen, warum nicht genau jetzt damit anfangen?
Die äusseren männlichen Geschlechtsorgane heißen Penis und Hodensack, oft auch nur „Hoden“ genannt. Genau genommen sind die Hoden selbst allerdings die inneren Genitalien, die sich im Hodensack befinden.
Die äusseren Genitalien einer Frau sind der Venushügel, die großen und kleinen Schamlippen, die Klitoris (teilweise) und der Scheideneingang. Der sichtbare Bereich der weiblichen Genitals heisst Vulva, wird aber umgangssprachlich oft als Scheide oder Vagina bezeichnet. Medizinisch korrekt ist die Scheide ein inneres Genital und bezeichnet den ca. 8-10 cm langen, muskulären Schlauch der zum Beispiel den Penis aufnehmen kann oder das Menstruationsblut abfliessen lässt.
Diese Bezeichnungen für die sichtbaren Geschlechtsorgane sind eindeutig, keine Verniedlichung und im medizinischen Bereich verankert. Hinzu kommen noch sekundäre Geschlechtsmerkmale wie zum Beispiel die Brust (Busen).
Das „Was ist Was“ der Intimzone
Die Sprache der Täter
Täter, die sich an sexuell an Kindern vergehen, benutzen keine klaren Begriffe. Ein Täter spricht nicht von Penis, Vulva oder Scheide. „Der Onkel möchte doch nur die Mumu streicheln.“ oder „Die Tante hat doch nur den süßen Pipimann lieb.“ – diese Verniedlichungen sind dem Kind bekannt und die Verwendung solcher spielerischen Begrifflichkeiten spielt eine nicht vorhandene Vertrautheit vor, das Kind neigt dazu, dieses leichter als „Das wird schon richtig sein“ einzuordnen.
Ein sicher gebundenes Kind mit einem gesunden Verständnis seines Körpers kann mitteilen, wenn etwas vorgefallen ist, was nicht der Normalität entspricht.
Vier Vorteile Penis oder Vulva (Scheide) zu sagen
- Kinder können präzise über alle Körperteile sprechen, das ist bei medizinischer Relevanz ein unschätzbarer Vorteil
- Die Aufklärung über Körperhygiene ist einfacher
- Die spätere Aufklärung kann mit vertrautem Vokabular erfolgen
- Im Sinne sexueller Sicherheit sollte das Kind es leicht haben, sich bei einem Missbrauch anderen mitzuteilen, Kosenamen für Geschlechtsorgane erschweren dies. Mit den richtigen Bezeichnungen kann ihr Kind präzise schildern, was geschehen ist.
Die wenigstens Menschen benutzen übrigens die medizinisch korrekten Bezeichnungen, sondern verwenden Scheide / Vagina als Synonym für Vulva oder Scheideneingang bzw. Hoden für Hodensack. Selbst medizinisches Personal nutzt diese sprachlichen Kompromisse um Körperteile differenziert und sachlich zu bezeichnen und auf Verniedlichungen zu verzichten.
Verniedlichungen in der Sprache mit Kleinkindern
Die Verniedlichungen im Sprachgebraucht geschehen nicht nur im Bereich der Geschlechtsorgane, alle Eltern – da schließe ich mich ein – benutzen Wörter wie „Tata gehen“, „Pipi machen“, „Winke winke“, „A-A machen“ oder „Wau wau“. Die frühkindliche Sprache verfügt zunächst nur über wenige Laute, diese müssen einfach zu imitieren sein, daher macht ein Hund eben „Wauwau“. Am einfachsten sind zunächst gedoppelte Silben, daher sind auch Mama und Papa die ersten Worte.
Mit der wachsenden kognitiven Entwicklung steigt auch der Sprachschatz, es können mehr Laute geformt, Worte gebildet und dann Sätze gebildet werden. Zunächst sind die Zweiwort-Sätze („Das da“, „Bitte Tee“, „Mama, nein“), dann auch komplexere Wünsche, Äußerungen oder auch Ablehnungen. Und genau hier ist ein wichtiger Wendepunkt: das Kind sollte seinen Körper kennen und Eltern sollten einen bewussten Umgang zulassen, dazu gehört auch „Nein“ sagen zu dürfen! Penis, Vulva und Scheide sind Körperteile, die das Kind berührt, entdeckt und benennen will, hier hilft eine klare, einheitliche Bezeichnung und Offenheit im Umgang mit dem Thema. Dieser offene Umgang ist wichtig für eine gute Entwicklung, ein selbstbewusstes Körperverständnis und den Mut, ein „Nein“ auch auszusprechen.
Laut aussprechen hilft, Unsicherheit zu überwinden
In meinen Fortbildungen geht es immer wieder um Themen, in denen ich die Dinge beim Namen nenne. Ich ermuntere und ermutige meine Teilnehmer, die ungewohnt korrekten Wörter einmal laut auszusprechen: Penis. Vagina. Vulva. After. Scheide. Busen. Schamlippen.
Vielen fällt es nach ein paar Durchgängen schon einfacher, das Wort ist vertrauter, kommt nun einfacher über die Lippen. Die Reaktionen der Teilnehmer sind völlig unterschiedlich, aber niemand wird ausgelacht. Wenn vorher von einem „Lullumann“ gesprochen wurde, hörte man hier und da Gekicher. Wird „Penis“ gesagt, kichert niemand.
Man kann das prima in kleinen Rollenspielen (1-2 Minuten) üben: Arztbesuch, Kita-Gespräch, besorgte Eltern auf dem Spielplatz, Gespräch unter Freunden, Schilderung eines möglichen Missbrauchs (sachlich), Kind bei Doktorspielen beobachtet …
Je öfter man die richtigen Bezeichnungen aktiv und bewusst nutzt, umso selbstverständlicher werden diese.
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